Wo im Norden die Grampians an die See grenzen, ist die flache Küste zu beiden Seiten der Spey-Mündung eine einsame verlassene Gegend. Hier erzählen sich die Leute gern Geschichten von übernatürlichen Erscheinungen. Es gibt im Wald den schwarzen Hund mit Augen so groß wie Whisky-Gläser, den Roten Fischer, der einem den nahen Tod anzeigt, und den alten Landlord, der sein Stück Heidemoor mit dem Breitschwert bewacht.
Am populärsten ist aber heute wie vor fast 200 Jahren die Geschichte vom Geist des Alexander Gillan, der in dem unbewohnten Moor namens Muir of Stynie spuken geht. Sogar Waldarbeiter und Wildhüter meiden diese Gegend nach Sonnenuntergang, weil sie befürchten, dem Gespenst zu begegnen auf einem Pfad, der als "Gillan's Way" allgemein bekannt ist.
Dieser Alexander Gillan verdiente seinen Unterhalt als Landarbeiter und lebte für sich allein in einem kleinen Flecken mit Namen Lhanbride, ein paar Meilen östlich von Elgin. Die Nachbarn sagten, er sei ein irischer Einwanderer und misstrauten ihm, andere meinten, er sei früh verwaist und ein bisschen geistig behindert. An einem nebligen Abend im August 1810 verschwand hier ein 10-jähriges Mädchen namens Elspet Lamb auf dem Weg ins Nachbardorf. Am nächsten Morgen wurde die ganze Gegend durchkämmt, die Moore und Wälder durchsucht. In der Kirche von Lhanbride beteten die Leute für das Kind, auch Alexander Gillan. Die Jäger setzten Spürhunde ein, und bald war das Kind gefunden, in einem Dickicht in Muir of Stynie, mit zerschmetterten Schädel, wie sie sagten. Bei der Roten Kirche von Lhanbride (Foto) nahmen bewaffnete Männer nach dem Gottesdienst Alexander Gillan fest, der seine "beste Sonntagshose trug". Eine blutgetränkte Hose war in einem Graben ganz in der Nähe gefunden worden. Er wurde angeklagt wegen "Belästigung und Ermordung" von Elspet Lamb und nach Inverness gebracht, wo er 3 Monate eingekerkert blieb.
Die Gerichtsverhandlung dort führte unglücklicherweise Charles Hope (links), ein mieser Emporkömmling, der sich als Politiker beim schottischen Landadel wegen "seiner Unbestechlichkeit und seiner guten Manieren" beliebt gemacht hatte. Wenn er aber als Richter auftrat, war er zu den Angeklagten unbarmherzig hart und brutal. Für ihn war Gillan eindeutig der Mörder, obwohl es eine Menge Unklarheiten gab. (Waren es wirklich Gillans Hosen? Hatte der für die Tatzeit vielleicht ein Alibi?) Der Angeklagte kam überhaupt nicht zu Wort. Er hielt während der ganzen Verhandlung einen zerknitterten Zettel in der Hand und versuchte verzweifelt darin zu lesen ... vergebens. In einer wortreichen Anklage erinnerte der Richter an die besondere Schwere und Heimtücke des Verbrechens, da Gillan sogar noch direkt nach der Tat in die Kirche gegangen sei, um so einen frommen und gottesfürchtigen Eindruck zu machen und seine Schuld zu vertuschen.
Das Urteil lautete auf Tod durch Erhängen, Gillan sollte am Ort seiner Untat hingerichtet werden. Damit nicht genug! Ein Verbrecher wie er dürfe nicht in geweihter Erde bestattet werden, sondern solle den Mitmenschen als Abschreckung dienen. Deshalb solle sein Leichnam nach der Exekution in Ketten hängen bleiben, "bis die Vögel des Himmels sein Fleisch verzehrt haben und seine Knochen im Winde bleichen und zerfallen ..."
Am Morgen des 14. November 1810 brachte man also Gillan auf einer Karre von Inverness (rechts) nach Muir of Stynie, ein Weg von 64 km. Dort war ein 4 Meter hoher Galgen aus Eichenholz errichtet. Daneben stand ein Käfig aus Eisenband, mit Ketten und Schlössern. Auch jetzt kam der durch die Haft sehr geschwächte Angeklagte nicht zu Wort. Im schwindenden Licht des Winterabends "legte man ihm den Strick um den Hals, und er fiel hinab in die Ewigkeit und hatte immer noch Zettel in der Hand, den er hatte vorlesen wollen." Sein Leichnam wurde sofort danach vom Galgen abgenommen und in dem Eisenkäfig wieder hochgezogen. Dann gingen die Gerichtsdiener nach Hause über einen ausgefahrenen Weg, der bald danach schon allgemein Gillans Weg genannt wurde.
Als der nächste Morgen heraufdämmerte, war die Leiche weg, der Käfig war aber noch da. Ermittlungen in den Nachbardörfern brachten nichts heraus.
Der Galgen und der Eisenkäfig blieben trotzdem mehr als 100 Jahre an ihrem Platz. Das solide Eichenholz, die rostigen Schlösser und Ketten hielten der Verwitterung durch Seewind, Regen und Nebel stand und nervten mit ihrem Klirren und Lärmen unaufhörlich die Anwohner. Beim leisesten Wind begannen die Eisenteile zu klingen und zu rasseln, gab es aber Sturm, dann pendelten die Ketten hin und her, das Metall kreischte und das Geräusch war meilenweit zu hören.
Bald danach gab es noch etwas, das die Dorfbewohner ängstigte. Einige wollten an Gillans Weg seine nebelhafte Gestalt erspäht haben, wie er sich im Schatten der Kiefern verbarg. Und noch Wochen nach seinem Tod hatten andere den erwähnten Papierfetzen gesehen, der unter dem Galgen vom Wind hin und her gewirbelt wurde. Aber keiner wagte ihn aufzuheben und zu lesen.
Endlich entschloss man sich mehr als 100 Jahre nach der Hinrichtung, im Jahre 1911, den Galgen abzureißen. Als man ein Loch aushob, um die Balken zu vergraben, fand man menschliche Knochen, offensichtlich die von Gillan. Eine mitleidige Seele musste ihn sofort nach seinem Tod hier begraben haben. Man legte die Reste des Galgens dazu und füllte die Grube wieder auf. Irgendjemand errichtete später ein Kreuz. Man sagt, es sei aus einem Stück des Galgens zusammen gefügt worden, steinharte, verwitterte Eiche.
Fotoquelle: Wikipedia und Pinterest
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